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Unterrichten aus dem Kochbuch

Warum das Ansammeln pädagogischer Rezepte für den Musizierunterricht noch nicht ausreicht

Vor Kurzem war ich Teilnehmer einer musikpädagogischen Fortbildung, bei der eine bestimmte Methode des Musizierunterrichts vorgestellt wurde. So sinnvoll ich diese Methode auch finde, so schwer verdaulich blieb mir doch die Veranstaltung im Magen stecken. Warum? Es war die Art und Weise, wie mit der Methode umgegangen wurde, es war der Boden, in den sie gepflanzt war. Dieser Boden war durch und durch leistungsorientiert. Nicht die ganzheitliche Erfahrung des Lernenden und die Musik standen im Vordergrund, sondern schlicht die am Ende erbrachte Leistung. Zu meinem Entsetzen gab es trotzdem aufrichtigen Beifall und ein fast durchweg positives Feedback.

Immer wieder habe ich das Gefühl, dass Pädagogen im Allgemeinen mehr darüber nachdenken, was und wie sie etwas unterrichten möchten, anstatt zu hinterfragen, warum sie dies tun. Das Handwerk und konkrete Rezepte pädagogischen Handelns werden mehr reflektiert, als die Basis, warum sie eigentlich pädagogisch tätig sind. Beispielhaft beschwert sich eine Studentin in einem kürzlich auf Spiegel Online erschienenen Artikel über die Inhalte eines grundlegenden erziehungswissenschaftlichen Seminars mit dem Thema „Psychologie des Lernens“ und lechzt anstelle dessen nach Rezepten und ganz praktischen Methoden für den Unterrichtsalltag.
Überspitzt formuliert könnte man also sagen, dass Instrumentallehrende mehr darüber nachdenken, wie sie ihren Lernenden eine Tonleiter beizubringen haben, als darüber, warum sie dies überhaupt tun – noch viel weiter, warum sie überhaupt Musik unterrichten. Hierbei möchte ich allerdings das Denken über Methoden, über praktische Rezepte und das Was und Wie nicht abwerten. Im Gegenteil: die Reflexion und Diskussion darüber ist genauso sinnvoll und sollte ständig aufrecht erhalten werden. Allerdings darf sich dieses Nachdenken nicht dem grundsätzlichen Nachdenken darüber, was die Tätigkeit des Musizierpädagogen in ihrem Kern bedeutet, überordnen. Dieses Nachdenken sollte genauso lebenslänglich praktiziert werden, wie das Nachdenken über praktische Methoden und Rezepte.

Die Frage nach dem Urgrund, warum wir Musik unterrichten, möchte ich hier einmal pauschal damit beantworten, dass wir durch den Unterricht schlicht Freude und Glück beim Musizierenden lebendig halten möchten, was idealerweise auch über den Unterricht hinaus Wirkung zeigt. Doch was bedeutet das? Meines Erachtens geht dies nur durch vollkommen ehrlich gemeintes Ernstnehmen des Lernenden, sowie der Musik. Der Lernende, wie auch die Musik sind ihrem Wesen nach lebendig, so sollte das Wahrnehmen dieses Lebendigen jede pädagogische Handlung durchziehen. In einem leistungsorientierten Unterricht mangelt es an dieser Art von Wahrnehmung. Leistungen im herkömmlichen Sinne sind von außen festgelegte Ziele, die mithilfe bestimmter Methoden effektiv erreicht werden können. Die Fixierung des Unterrichtens auf das Erbringen festgelegter Leistungen bedeutet automatisch die Missachtung des Lebendigen in Mensch und Musik. Menschen lernen nicht auf geradlinigen und steuerbaren Bahnen, genau so wenig wie Musik planbar entsteht. Gerade das Loslassen von der Fixierung auf zu erbringende von außen vorbestimmte Leistungen ermöglicht unvorhergesehene wie vielseitige Erfahrungen, die viel mehr Raum für einen nachhaltigen Bildungsprozess des Lernenden und für musikalische Erlebnisse öffnen. Und darum geht es uns doch eigentlich: Um Raum für Musik und Raum für die Identifikation des Lernenden mit der Musik. Dann entstehen Leistungen, die viel mehr Applaus verdient haben als das bloße Erfüllen vorgegebener Anforderungen, da sie ehrlich und aus dem Musizierenden selbst entstanden sind.

Bei oben genannter Fortbildung musste ich leider erleben, wie wenig Sinn eine gut gemeinte und durchdachte Methode macht, wenn sie nicht auf dem Urgrund des Musizierunterrichts aufbaut. Das Nachdenken, Ausprobieren und Zu-eigen-Machen verschiedenster musikpädagogischer Methoden halte ich grundsätzlich für äußerst wichtig und sinnvoll. Für genauso wichtig halte ich aber das Nachdenken über den allgemeinen pädagogischen Kontext, in dem ich die Methoden einsetze. Was nützt ein reichlich gefüllter Korb an guten Methoden, ein Kochbuch voller pädagogischer Rezepte, wenn es dabei nicht um das geht, um das es im Musikunterricht eigentlich gehen sollte: um das Musizieren.